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Sodom und Gomorrah im Internet - Textbeitrag

Daten sind das neue Geld: Wir schreiben das Jahr 2023

Du willst eine Zeitung lesen? Ein Produkt kaufen? Schauen, was ein bestimmtes Unternehmen unternimmt? Du gehst dafür zuerst zur Zentrale. Registrieren. 50 bis 70 einzelne Daten wollen sie von Dir haben. Du findest, das sei eine Zumutung? Ich meine, Du hast ja nichts zu verbergen, oder?

Im Internet ist das heute schon so. Noch bevor man eine Website sieht, noch im Head des Programmcodes, wird dem Browser gesagt, dass er beim Gigakonzern vorbeizuschauen und die eigenen Daten abzugeben hat. So, wie all die Fertig-Websites gecoded sind, gibt es da kein Entrinnen: Du musst. Dann erst darfst Du die Website besuchen.

Der grosse Bruder, der gute Onkel Gigakonzern bietet zahlreiche Gratis-Website-Tools: Gigakonzern-Analytics, Gigakonzern-Maps, reCaptcha für Formulare, Gigakonzern-Drive für Dateien, YouTube für die Einbindung von Videos - gratis, aber mit Daten bezahlt! Der Gigakonzern lässt sich das alles mit Daten bezahlen - und das nicht zu knapp:

Beispielsweise läuft auf 28.1 Millionen Websites Gigakonzern-Analytics. Damit kann der Website-Betreiber einzelne, anonymisierte Besucher innerhalb seiner eigenen Website verfolgen. Dieselben Daten und noch mehr werden auch vom Gigakonzern abgesaugt - mit dem feinen Unterschied, dass der Gigakonzern somit Einsicht auf 28.1 Millionen Websites erhält!


Was bedeutet das?

Der Gigakonzern erhält dadurch Einsicht über die Bewegungen der Internet-Nutzer über 28.1 Millionen Websites hinweg, über Tage, Wochen, Jahre! Durch die Vielzahl der Daten - schätzungsweise 50-70 Daten pro User und Website, plus die Analytics-Bewegungs-Daten auf der Website, plus die Daten von 28.1 Millionen anderen Websites, mal die Stunden, Tage, Monate, Jahre, in denen diese Daten anfallen, ist jede Anonymität von vornherein aufgehoben!

Wenn ich beispielsweise mit einem speziellen Bildschirm-Hintergrund und zwei, drei Browser-Erweiterungen im Netz unterwegs bin, dann ist diese Kombination einzigartig, und ich bin nach einigen Website-Besuchen ohne jeden Zweifel identifiziert.

Dazu kommen die Daten, welche von all den anderen Gratis-Tools - unter anderem Gigakonzern-Maps, reCaptcha für Formulare, Gigakonzern-Drive für Dateien, YouTube für die Einbindung von Videos - gewonnen werden, dazu noch die Bewegungs-Daten der Handys, auf denen das Gigakonzern-Betriebssystem Android installiert ist: All das fliesst in den unerschöpflichen Gigakonzern-Datenpool.

Der Gigakonzern weiss alles über uns, und wir nichts über ihn; ist das nicht die eigentliche Definition von Unfreiheit?


Das war nicht immer so: Die Pionierzeit

In den Neunziger-Jahren war das Internet frei. Frei von Konzernen, die an Deine Daten wollten. Frei von Regierungen, welche Deine Freiheit einschränken wollten. Die Regierungen hatten das Web noch gar nicht auf dem Schirm. Es war traumhaft. Pioniergeist allenthalben, Webdesigner halfen sich weltweit, man spürte, dass gerade etwas Neues, Grossartiges am Entstehen ist.

Es war wie eine unberührte weisse weite Schneefläche. Stille. Man war frei. Nichts störte. Man respektierte sich gegenseitig, man war Pionier auf einem neuen Kontinent.

Dann kamen sie, die Konzerne, die Gesellschaften, die Demokratien, die Halunken. Sie alle kamen mit den Massen. Mit ihnen gelangten andere Werte, andere Wertvorstellungen ins Internet. Man hat nichts dagegen, wenn Konzerne Werbung schalten. Man hat nichts dagegen, wenn sie für bessere Platzierung der Werbung Deine Daten absaugen. Man hat nichts dagegen, wenn Websites für 'ein besseres Benutzererlebnis' Cookies abfragen.

Man hat nichts dagegen, dass Fertig-Website-Betreiber ihre eigenen Besucher - ihre eigenen Besucher! - ans Silicon-Valley verkaufen!


Der Gigakonzern wird zum Grossen Bruder

Des Gigakonzerns Grundidee für einen neuen Suchdienst war bahnbrechend: Schau nicht so sehr auf die Websites selbst, schau auf die Links, welche zur Website führen! Websites, die etwas zu sagen haben, erhalten mehr Links, die von anderen Websites auf sie zeigen. So wurde die damals erfolgreichste Suchmaschine AltaVista abgelöst.

Als die Suchkriterien verfeinert wurden und der Gigakonzern so bekannt war, dass man schon sagte: 'Ich gigakonzerne', statt 'ich suche im Gigakonzern', da bemerkte man, dass man nicht nur die Websites solcherart registrieren und ablegen kann - sondern auch die Besucher der Websites!

Sodann wurde von Marketingabteilungen entdeckt, dass man diese Gratis-Tools anbieten kann, welche mit Besucher-Daten bezahlt werden und alle Benutzer ausschnüffeln. Und am Ende war klar, dass Website-Betreiber Fertig-Websites bevorzugen würden, weil sie billiger sind, und weil den Website-Betreibern egal war, dass sie ihre eigenen Besucher-Daten an das Silicon-Valley verkaufen.


Ein konkretes Beispiel

Der Font-Tag, wie wir ihn der Einfachheit halber nennen wollen: Fast alle Fertig-Websites haben ihn. Er sagt dem Browser, dass dieser die Schriften der Website vom Gigakonzern-Server herunterladen soll.

Auf dem Gigakonzern-Server hinterlässt der Browser dieselbe Statistik, wie er sie auf jedem Server hinterlässt: IP-Adresse, Zeit, Datum, ungefährer Ort, Browserversion, Version des Betriebssystems, Link der Website, welche man zuvor besucht hat. Dann kehrt der Browser zur aufgesuchten Website zurück und zeigt sie, nun mit deren entsprechenden Schriftarten versehen, an.

Wenn Du eine typische Fertig-Website betreibst, sieht Onkel Gigakonzern dieselbe Statistik wie Du, wenn Du auf Deinem Server nachschaust. Mit dem feinen Unterschied, dass der Gigakonzern die Statistiken von Milliarden Websites zu Gesicht bekommt: Allein von WordPress, dem grössten Fertig-Website-Hersteller, existieren bis heute 455 Millionen Websites!

Es ist, wie wenn sich das Gigakonzern-Marketing überlegt hätte, wie man nicht nur seine eigene Statistik zu Gesicht bekommt, sondern: Alle! Voilá, Ziel grossenteils erreicht.


Das Urteil des Landesgerichts München

Im Februar 2022 verurteilte das Landesgericht München einen Website-Betreiber, der eben diesen Font-Tag installiert hatte. Dieser Font-Tag sendete, laut Gericht, die IP-Adresse eines Besuchers in die USA. Dies richtet sich gegen die DSGVO, und darum gab es 100 Euros Strafe.

Hunderte Millionen andere deutsche Website-Betreiber bezahlen nichts: Weil die Kläger fehlen.

Das bedeutet: Der Font-Tag wird weiterhin eingesetzt, auf nahezu jeder Website - obwohl sogar der Gigakonzern den Website-Betreibern empfiehlt, die Schriften vorher downzuloaden und sie lokal, auf dem eigenen Server zu hosten Aber kaum einer macht's.


Der Ausweg aus dem Debakel?

Der Gigakonzern empfiehlt also selber, den Font-Tag nicht einzusetzen. Bei einem Grossteil der Websites steht er dennoch im Code. Was bedeutet das? Wir sind es selber! Es sind nicht die Megakonzerne, die uns gegen unseren Willen unterdrücken, sondern: Wir führen das alles selber aus.

Wir, nicht der Gigakonzern, lieben es, unseren Besuchern hinterherzuforschen, und installieren darum Gigakonzern-Analytics. Wir verknüpfen Gigakonzern-Maps mit der Website und schicken unsere User-Daten an den Gigakonzern, wie wenn es egal wäre. Wir schützen bequem unsere Web-Formulare mit reCaptcha und lassen den Gigakonzern damit unsere Besucher-Daten absaugen. Wir verkaufen unsere eigenen Website-Besucher ans Silicon-Valley!

Wir, nicht die Konzerne.

Wenn wir das alles nicht praktizierten, würden die Konzerne nicht unsere Quadrillionen von Daten bekommen. Wenn wir das Bewusstsein dafür entwickeln, dass wir es sind, und wir sofort aufhören können... wenn wir uns nicht mehr rechtfertigen damit, 'dass es die anderen ja auch machen'... wenn wir selber keine Fertig-Websites mehr unbesehen in Auftrag geben, Gratis-Tools grundsätzlich hinterfragen, mega-grossen Konzernen gegenüber nicht mehr mit naivem Vertrauen, sondern mit gesundem Misstrauen begegnen...

... dann kann das Problem gelöst werden. Ja, es scheint unmöglich. Und dennoch... ;)





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